Case-Study:

Causa VW

Die Kardinalfehler
Das sagt der Rechtsexperte:
Michael Falter
Rechtsanwalt, DWF

Mit seinen Anträgen in der VW Hauptversammlung am 22. Juni 2016 hat Professor Christian Sprenger beantragt, den Mitgliedern des Vorstands und des Aufsichtsrats die Entlastung zu verweigern. Er hat zudem beantragt, den Aufsichtsrat stärker mit unabhängigen Mitgliedern zu besetzen und entsprechende Gegenvorschläge unterbreitet. Die Anträge wurden mit Mehrheit abgelehnt.

Sowohl die mit Mehrheit beschlossene Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat als auch die Wahl von Frau Falkengren in den Aufsichtsrat dürften anfechtbar sein. Dagegen dürfte die Wahl der Vertreter des Landes Niedersachsen Bestand haben, obwohl es sich nicht um Unabhängige Mitglieder handelt.

Der Aufsichtsrat von Volkswagen entspricht nicht dem Deutschen Corporate Governance Kodex, weil die vom Aufsichtsrat selbst für angemessen erachtete Zahl von vier unabhängigen Mitgliedern nicht erreicht wird.

1. Entlastung der Organmitglieder einer Aktiengesellschaft

Das Aktiengesetz sieht in § 120 vor, dass die Hauptversammlung jährlich über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat abstimmt. Die Hauptversammlung, also die Gesamtheit der Aktionäre, billigt dadurch die Verwaltung der Gesellschaft im Geschäftsjahr, § 120 Abs. 2 AktG1. Die Beschlussfassung erfolgt nach § 133 AktG mit einfacher Mehrheit.

1.1. Bedeutung des Entlastungsbeschlusses in der Aktiengesellschaft

Die Entlastung ist ein spezielles gesellschaftsrechtliches Institut2. Die Rechtsnatur ist in der Literatur umstritten, was im Ergebnis aber unerheblich ist, da weder im positiven noch im negativen Sinne mit der Entlastung unmittelbare, statusrechtliche oder vermögensrechtliche Folgen für die betroffenen Organmitglieder verbunden sind. Insbesondere ist, anders als bei der GmbH, mit der Erteilung der Entlastung kein Verzicht auf Ersatzansprüche der Gesellschaft verbunden, § 120 Abs. 2 AktG.

In der Praxis kommt der Entlastung dennoch hohe rechtstatsächliche Bedeutung zu, ist sie doch Ausdruck einerseits der Billigung der Organtätigkeit im abgelaufenen Geschäftsjahr und zugleich ein Vertrauenserweis für die Zukunft3. Umgekehrt ist die Verweigerung der Entlastung ein Misstrauensvotum der Aktionäre gegen den Vorstand oder den Aufsichtsrat, der zwar keine unmittelbaren statusrechtlichen Folgen nach sich zieht, aber doch das persönliche Ansehen und die Reputation des betroffenen Organmitglieds erheblich beeinträchtigen kann.

Für den Vorstand kann die Verweigerung der Entlastung dennoch zur Amtsbeendigung führen. Die Zuständigkeit für die Abberufung des Vorstands liegt aber nicht bei der Hauptversammlung, sondern beim Aufsichtsrat.

Grundsätzlich setzt der Widerruf der Bestellung durch den Aufsichtsrat einen wichtigen Grund voraus. § 84 Abs. 3 S. 2 AktG benennt den Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung ausdrücklich als wichtigen Grund. Der Aufsichtsrat kann einen Vertrauensentzug der Hauptversammlung also zum Anlass nehmen den Vorstand abzuberufen. Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob in der Verweigerung der Entlastung auch ein Vertrauensentzug im Sinne des § 84 Abs. 3 S. 2 AktG liegt. Dies wird teilweise mit Blick darauf, dass die Entlastung sich auf die Billigung der vergangenen Geschäftsführung


1 Hoffmann in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 120, Rn. 24; Hüffer/Koch, AktG, 12. Aufl. 2016, § 120, Rn. 11.
2 Hüffer/Koch, AktG, 12. Aufl. 2016, § 120, Rn. 2.
3 BGH, Urteil vom 25. November 2002, Az. II ZR 133/01, NJW 2003, 1032, 1033.

„Der Aufsichtsrat
von VW entspricht
nicht dem
Deutschen Corporate
Governance Kodex.“