Case-Study:

Causa VW

Die Kardinalfehler
Das sagt der Rechtsexperte:
Michael Falter
Rechtsanwalt, DWF

Anders als im Rahmen der strafrechtlichen Aufarbeitung stellt sich die Frage des persönlichen Verschuldens im Rahmen der Entlastung nicht. Es geht um die Frage, ob die Hauptversammlung die Leitung der Gesellschaft als im Großen und Ganzen pflichtgemäß billigen darf, obwohl, insoweit wohl eindeutig und gravierend, gegen Gesetze verstoßen wurde.

Es spricht einiges dafür, dass es der Hauptversammlung verwehrt ist, einem Vorstand unter dessen Leitung es zu Gesetzesverstößen mit derart weitreichenden Folgen gekommen ist, uneingeschränktes Vertrauen gegen den Willen einer Aktionärsminderheit auszusprechen und die Leitungstätigkeit des Vorstands insgesamt zu billigen. Auf eine abschließende strafrechtliche Beurteilung kann es hierfür nicht ankommen, zumal diese regelmäßig erst weit nach der relevanten Hauptversammlung abgeschlossen sein dürfte. Würde man also eine möglicherweise rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung fordern um dem Merkmal „eindeutig“ zu genügen, dann wäre es faktisch unmöglich, einen Entlastungsbeschluss wirksam anzufechten. Es muss deshalb genügen, wenn, wie im vorliegenden Fall, gravierende Verdachtsmomente für schwerwiegende und systematische Gesetzesverstöße vorliegen, der Mehrheit der Hauptversammlung die Billigung einer solchen Geschäftsleitung zu verwehren. Es ist auch nicht möglich, den Vorstand unter einer Bedingung, etwa eines Freispruchs, zu entlasten7. Konsequenterweise ist dann bei einem derart gravierenden Verdacht die Entlastung zu verweigern.

Der BGH hat in seiner Macrotron Entscheidung noch einmal bestätigt, dass Entlastungsbeschlüsse anfechtbar sind. Zwar steht der Hauptversammlung ein weiter Ermessensspielraum bei der Entlastung zu, dieser geht aber nicht so weit, dass die Hauptversammlung auch einem pflichtvergessenen Vorstand, der Gesetzes- und Satzungsverstöße begangen hat, Entlastung erteilen dürfte8.

Eine Anfechtungsklage gegen den Entlastungsbeschluss wäre vor diesem Hintergrund durchaus erfolgversprechend.

 1.3 Entlastung des Aufsichtsrats

Der Aufsichtsrat hat nach § 111 Abs. 1 AktG die Aufgabe, die Geschäftsführung zu überwachen. Hierzu gehört namentlich auch, dass der Aufsichtsrat sich davon zu überzeugen hat, ob im Unternehmen ein ausreichendes Compliance System etabliert ist9. Selbst wenn man einmal unterstellt, dass der Vorstand von den Gesetzesverstößen im Zusammenhang mit der Dieselaffäre nichts gewusst hat, wird man doch unterstellen dürfen, dass die Überwachung nachgeordneter Führungsebenen nur unzureichend erfolgte und kein ausreichendes Compliance System existierte, das systematische Gesetzesverstöße aufgedeckt hat. Es gehört aber gerade zu den wesentlichen Aufgaben des Aufsichtsrats zu überwachen, dass der Vorstand sich regelkonform verhält und ein hinreichend effizientes Compliance System etabliert hat.

Dies spricht dafür, dass neben dem Vorstand auch der Aufsichtsrat seinen Pflichten nicht nachgekommen ist. Dabei dürfte nach dem vorstehend Gesagten die Verletzung der Pflicht zur Compliance-Überwachung so schwer wiegen, dass der Hauptversammlung auch die Entlastung des Aufsichtsrats nicht gestattet ist.

Für die Entlastung des Aufsichtsrats und die Anfechtung eines rechtswidrigen Entlastungsbeschlusses gelten die gleichen Grundsätze wie für die Anfechtung des Entlastungsbeschlusses zu Gunsten des Aufsichtsrats. Da erst durch die unzureichende


7 Bungert in: Münchner Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 4, § 35, Rn. 32.
8 BGH, Urteil vom 25. November 2002, Az. II ZR 133/01, NJW 2003, 1032, 1033; die gegenteilige Auffassung hatte u. a. das OLG Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 22. Februar 1996, Az. 6 U 20/95, NJW-RR 1996, 1252, vertreten.
9 Hüffer/Koch, AktG, 12. Aufl. 2016, § 111, Rn. 4

„Die Verletzung der
Pflicht zur Compliance-
Überwachung durch
den Aufsichtsrat dürfte
so schwer wiegen, dass
der Hauptversammlung
die Entlastung des
Aufsichtsrats nicht
gestattet ist.“