Case-Study:

Causa VW

Die Kardinalfehler
Das sagt der Rechtsexperte:
Michael Falter
Rechtsanwalt, DWF

Überwachung des Vorstands die Dieselaffäre möglich war, dürfte auch der Entlastungsbeschluss zu Gunsten des Aufsichtsrats anfechtbar sein.

  1.4 Fazit

Die Entlastungsbeschlüsse dürften rechtswidrig und deshalb anfechtbar sein. Dieses Ergebnis überzeugt auch deshalb, weil die Entlastung der Leitungsorgane einer börsennotierten Gesellschaft nicht nur das einzelne Organmitglied oder das Organ als Ganzes betrifft, sondern erhebliche gesamtwirtschaftliche Bedeutung haben. Die Billigung der Unternehmensleitung obwohl es unter dieser Leitung zu erheblichen Gesetzesverstößen gekommen ist, mit unabsehbaren Folgen für Aktionäre, Arbeitnehmer und die gesamte Volkswirtschaft ist ein nicht hinzunehmendes Signal einer kleinen Aktionärsgruppe. Es kann insofern durchaus auch von einer ordnungspolitischen Funktion des Entlastungsbeschlusses gesprochen werden.

2. Wahl der Aufsichtsratsmitglieder

Der Deutsche Corporate Governance Codex („DCGK“) verlangt, dass dem Aufsichtsrat eine angemessene Zahl unabhängiger Mitglieder angehören soll. Unabhängig in diesem Sinne ist ein Aufsichtsratsmitglied dann, wenn es einerseits keine persönlichen oder geschäftlichen Beziehungen zu der Gesellschaft unterhält und andererseits auch keine Organfunktion oder wesentliche Beratungsfunktion bei einem wesentlichen Wettbewerber ausübt. Wie viele Aufsichtsratsmitglieder unabhängig sein sollen, bestimmt der Aufsichtsrat selbst. Im Corporate Governance Bericht 2015 hat der Aufsichtsrat von Volkswagen festgelegt, dass vier Aufsichtsratsmitglieder unabhängig sein sollen.

Als unabhängige Mitglieder wurden die Vertreter des Landes Niedersachsen, Herr Ministerpräsident Stephan Weil und Herr Olaf Lies, sowie Frau Falkengren, die Vorstandsvorsitzende der SEB AG, in den Aufsichtsrat gewählt. Ob die Vertreter des Landes Niedersachsen unabhängig im Sinne des DCGK sind, erscheint zumindest zweifelhaft. Zwar sind Vertreter öffentlich-rechtlicher Körperschaften gehalten, in ihrer Funktion als Aufsichtsrat, den Vorzug zu geben. Es ist offensichtlich, dass die Vertreter des Landes Niedersachsen nicht unabhängig sind. Der Bundesgerichtshof hat bereits 1997 ausgeführt, dass das Land Niedersachsen einen beherrschenden Einfluss ausübt10. Daran hat sich auch durch die Änderungen des sogenannten VW Gesetzes nichts geändert, da das Land Niedersachsen weiterhin wesentliche Entscheidungen blockieren kann. Eine Unabhängigkeit der Vertreter des Landes Niedersachsen besteht daher von vornherein nicht.

Ob Frau Falkengren unabhängig ist ist unklar. Dies wäre dann der Fall, wenn die SEB AG keine wesentlichen Geschäftsbeziehungen zu Volkswagen hätte. Gleichwohl dürfte auch die Wahl von Frau Falkengren anfechtbar sein, da trotz entsprechender Frage aus der Hauptversammlung keine Erklärung hierzu abgegeben wurde. Dies folgt daraus, dass fehlende Information über die Unabhängigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds ein wesentliches Informationsdefizit darstellt, das die Anfechtbarkeit des Beschlusses begründet.

3. Folgen für den Aufsichtsrat

Der Aufsichtsrat hat damit nicht wie im Corporate Governance Bericht 2015 gefordert vier unabhängige Aufsichtsratsmitglieder. Vielmehr bestehen bei den Vertretern des Landes


10 BGH, Beschluss vom 17. März 1997, Az. II ZB 3/96, DStR 1997, 972, 973.

„Es ist offensichtlich,
dass die Vertreter des
Landes Niedersachsen
nicht unabhängig sind.
Der BGH hat bereits
1997 ausgeführt, dass
das Land Niedersachsen
einen beherrschenden
Einfluss ausübt.“